«A SEPARATION – NADER & SIMIN» Zwischenmenschliches aus dem heutigen Iran
In Berlin Preisgekröntes aus dem Iran: Asghar Farhadis Film «A Separation» verhandelt Fragen des Sozialen und Individuellen – bewusst ohne Antworten zu liefern.
Inhalt
Kulturtipp 18/2011
Urs Hangartner
Sie, Lehrerin, will unbedingt das Land verlassen, weil sie «unter diesen Bedingungen» nicht weiterleben kann und der 11-jährigen Tochter Termeh (Sarina Farhadi, die Tochter des Regisseurs) eine bessere Zukunft ermöglichen möchte. Ein Visum hat sie bereits, das aber bald abläuft. Aus diesem Grund verlangt Simin (Leila Hatami) die Scheidung. Er, Bankangesteller in guter Position, sagt: «Ich kann hier nicht weg.» Der Grund: Der Vater von Nader (Peyman ...
Sie, Lehrerin, will unbedingt das Land verlassen, weil sie «unter diesen Bedingungen» nicht weiterleben kann und der 11-jährigen Tochter Termeh (Sarina Farhadi, die Tochter des Regisseurs) eine bessere Zukunft ermöglichen möchte. Ein Visum hat sie bereits, das aber bald abläuft. Aus diesem Grund verlangt Simin (Leila Hatami) die Scheidung. Er, Bankangesteller in guter Position, sagt: «Ich kann hier nicht weg.» Der Grund: Der Vater von Nader (Peyman Moadi) hat Alzheimer und braucht daheim ständige Betreuung.
Die Szene spielt sich ganz am Anfang des Films von Asghar Farhadi ab, vor unseren Augen, das heisst den Augen des Scheidungsrichters, vor dem das Ehepaar sitzt. Eine einzige Einstellung hält es fest. Entschieden wird nicht im Sinne von Simin. Das Scheidungsbegehren wird abgelehnt.
So entscheidet sich Simin, den gemeinsamen Haushalt zu verlassen und zu den Eltern zu ziehen. Nader muss eine Pflegehilfe suchen, für tagsüber, wenn er arbeiten geht. Er findet die junge, traditionell in einen Tschador gekleidete Razieh (Sareh Bayat), die den Job ohne das Wissen ihres Mannes übernimmt und ihre kleine Tochter mit in die Wohnung von Nader bringt. Razieh ist mit der Situation etwas überfordert, und es stellt sich für sie auch ein religiöses Problem: Die unerfahrene Pflegerin holt beim Imam telefonisch Rat, ob sie dem fremden alten Mann in einer bestimmten akuten Situation helfen darf. Sie darf.
Verworrene Situation
Die nicht einfache Ausgangslage wird komplizierter, als der misstrauische Nader seine Angestellte Razieh des Diebstahls bezichtigt, die im Übrigen schwanger ist – aber kann er dies erkannt haben, wenn sie doch einen Tschador trägt? Abgesehen davon hat sie einmal den Vater für kurze Zeit alleine zurückgelassen, weil sie einen Arzttermin wahrnehmen musste. Es eskaliert so weit, dass ein angeblicher Treppenstoss mit tragischen Folgen für die Schwangere gar in einer Mordanklage gegenüber Nader endet, wo sich Raziehs arbeitsloser Mann Hodjath (Shahab Hosseini) nun einmischt. Hat der Vater Nader die Wahrheit gesagt oder lügt Razieh?
Am Ende des Films sitzen Nader und Simin wieder vor dem Richter. Er schickt das Paar hinaus und will von Tochter Termeh wissen, für welchen Elternteil sie sich entscheidet. Ihre Antwort zeigt der Film nicht mehr. Regisseur Asghar Farhadi lässt es bewusst offen, wie er grundsätzlich mit seinem Film Fragen stellen möchte, ohne sie selber zu beantworten: «Die erste Frage des Films ist, ob ein iranisches Kind eine bessere Zukunft in seinem eigenen Land oder im Ausland hat. Darauf geben wir keine Antwort. Mein Wunsch ist es, dass der Film dazu animiert, Fragen wie diese zu stellen.»
«A Separation» hat dieses Jahr die Festivaljury an der Berlinale vollauf überzeugt. Er wurde als bester Film mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet, und ans ganze Ensemble gingen Silberne Bären für seine schauspielerischen Leistungen. Verdiente Preise für den aktuellen iranischen Film, der seine Stränge erzählerisch dicht und raffiniert verknüpft und seine letztlich universellen Themen eindrücklich verhandelt.