kulturtipp: Herr Homoki, hat Ihnen Verwaltungsratspräsident Josef Estermann schon eine Krawatte gekauft, wie er vor vier Jahren versprach?
Andreas Homoki: Hat er das wirklich gesagt? Das war nicht nötig, ich habe eine ganze Menge Krawatten, trage sie aber nicht so gerne.
Estermanns Bemerkung hiess: «Wir machen aus Homoki schon noch einen Pereira.» Wie weit ist seine Arbeit gediehen?
Das war nie sein Ziel, im Gegenteil. Man hat sogar bewusst einen Künstlerintendanten gesucht: Die Antithese zu Pereira, so hat man es mir zumindest gesagt. Und daher wird sicher auch akzeptiert, dass ich bisweilen keine Krawatte trage.
Und sind Sie die Antithese zu Alexander Pereira?
Sicher in einigem. Ich bin ein Regisseur, bin also ein Mensch, für den Oper nur dann interessant ist, wenn es spannendes Theater zu sehen gibt. Vielen reicht hingegen eine tolle musikalische Ausführung.
Was gehört noch zur Antithese?
Ich bin ein Macher, bin nahe am Geschehen dran, arbeite auf der Bühne, suche dort das Gespräch, auch mit meinen Regiekollegen. Alexander Pereira ist natürlich auch ein Macher, aber seine operative Arbeit liegt mehr im organisatorischen Bereich – im Engagieren grosser Dirigenten, Sängerpersönlichkeiten und potenten Sponsoren.
Das müssen Sie doch auch können?
Ganz klar, ich gehe gerne auf Menschen zu, kümmere mich um die Sponsoren, aber ich bin nicht operativ an jedem Detail dran.
Will heissen, dass Sie viel mehr als Pereira auf Ihre Mitarbeiter vertrauen, die dann mit Ihnen
zu Dirigenten, Sponsoren und Sängern ausschwärmen?
Ja, ich bin ein Teammensch, Alexander ist eine One-Man-Band, der am Abend am liebsten auch noch den Vorhang hochziehen möchte. Ich hingegen habe als Regisseur gelernt: Anschieben, laufen lassen, kontrollieren. Mit der Zeit verinnerlicht mein Team jene Vorgaben, die mir wichtig sind.
Alexander Pereira hatte 1991 ein leichtes Spiel, er kam nach Christoph Groszer, dem Haus gings nicht so gut. Sie kommen zwar nach Alexander dem Grossen, aber dem Haus gehts trotz einiger Glanzjahre auch nicht gut: 2010 schrieb man einen Verlust, die Auslastung ist so tief wie 1991. Ein guter Moment, um hier zu beginnen?
Es ist immer dankbar, nach einer langen Ära zu beginnen, denn alle freuen sich über Veränderungen, und es herrscht eine grosse Neugier.
Aber die Zürcher sind völlig Pereira-fixiert: Oper ist Pereira.
Finden Sie? Es wäre sicher schwieriger, wäre Alexander Pereira bloss zehn Jahre hier gewesen. Nach 21 Jahren aber ist es relativ egal, wie gut oder wie schlecht einer den Job gemacht hat, die Zeit ist reif für eine Veränderung. Das heisst natürlich nicht, dass ich mich zurücklehnen kann. Ich nehme meine Arbeit sehr ernst, und sie macht viel Spass.
Die Zürcher Opernvolksmeinung lautet: Es ist unmöglich, aus dem Schatten von Pereira zu treten. Macht Ihnen das keine Angst?
Ganz ehrlich und ohne jetzt arrogant wirken zu wollen: Nein.
Ein anderes Problem, die Masse ruft: «Bei Homoki wird alles so modern, das wollen wir nicht!»
War denn bislang alles derart altmodisch? Im Gegenteil: Da gibts doch viele moderne Bühnenbilder. Lasst die Leute ruhig etwas skeptisch sein, gerade nach einer so langen Intendanz. Ich hoffe natürlich, dass die meisten positiv überrascht sein werden, wie ihnen einige Opern trotz oder gerade wegen der Modernität transparenter scheinen und inhaltlich näher kommen.
Zürich ist ein sogenanntes A-Haus, hier singen die Stars. Wie sehr verschiebt sich deswegen Ihr künstlerisches Denken im Vergleich zu Berlin?
Es verschiebt sich insofern, als es in Berlin drei Opernhäuser gibt, und es für jedes einzelne Haus gilt, sich stark zu profilieren und sich gegen die anderen abzugrenzen. Das führte häufig dazu, dass die Medien speziell bei uns nur noch auf den Skandal warteten. Die Wahrnehmungskriterien pervertieren sich etwas, wenn du eine brillante Aufführung bietest und es dann heisst, das sei ja gar nichts, nur weil du nicht mit der Brechstange vorgegangen bist. Ich mag eigentlich keine Skandale, ich will die Leute auf intelligente und virtuose Art überraschen. Jeder Künstler möchte, dass seine Arbeit gemocht und bewundert wird. Wenn allerdings eine konsequente Aussage einen Skandal provoziert, muss ich bereit sein, das auszuhalten.
Ihre modernen Regisseure Barrie Kosky, Stefan Herheim, Hans Neuenfels, Calixto Bieito oder Sebastian Baumgarten sorgten für den einen oder anderen Skandal. Waren sie mit schuld, dass Ihr Berliner Haus nur zur Hälfte gefüllt war?
Nein. Wenn unsere Neuproduktionen ein Erfolg waren, und das war meistens der Fall, war das Haus voll. Das Problem liegt woanders. Ein Beispiel: 2006 inszenierte ich den «Rosenkavalier» – jeder Abend war ausverkauft. 2007 nahmen wir die Produktion wieder auf und begannen mit exakt der gleichen Besetzung bei 55 Prozent Auslastung. In Berlin zielt alles auf den Hype des Neuen, da wird ein Repertoire-System zunehmend problematisch.
Sie hätten in Berlin während Ihrer Amtszeit Ihr Publikum ausgetauscht, schrieb der «Tagesspiegel»: Zum Schluss kamen die jungen Leute.
Das ist wieder so eine Übertreibung. Wir haben das Publikum nicht wirklich ausgetauscht. Ich will doch nicht nur junge Leute, es muss immer um eine gesunde Mischung gehen. Die hatten wir mit einem Durchschnittsalter von 42 Jahren tatsächlich erreicht. Sicher gab es Leute, die weggeblieben sind, weil sie an der Komischen Oper ein Stück ihrer alten Ostheimat konserviert wissen wollten, was natürlich nicht geht: Theater darf kein Lebensgefühl von vorgestern konservieren, Theater muss durchlässig bis in die Gegenwart sein. Die Komische Oper wurde keine Berliner Volksbühne, wo angeblich nur Punks reingingen – auch wieder so eine Übertreibung.
In Zürich sitzen die Punks im Stadelhofen-Park, der Züriberg bei Ihnen im Parkett.
Wie viele Leute wohnen dort eigentlich? So viele können es ja gar nicht sein! In den Villen wohnen jeweils zwei, höchstens sechs Leute. Zählen Sie die mal durch: Die müssten jeden Tag zweimal kommen, damit das Opernhaus voll ist.